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Letztlich, es gibt nur das, das soziale Band

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Joseph Rouzel

dimanche 12 février 2012

Letztlich, es gibt nur das, das soziale Band

Joseph Rouzel

»Ich bezeichne es mit dem Ausdruck Diskurs, weil es kein

anderes Mittel gibt, es zu bezeichnen, wenn man einmal bemerkt hat,

dass das soziale Band sich nur so einrichtet, dass es sich in der

Art und Weise verankert, in der die Sprache sich situiert und

sich einprägt, sich situiert auf dem, was grummelt,

nämlich das sprechende Sein.«

J. Lacan, Seminar XX, Encore, 1986, S. 60

I.

Es war im Jahr 1986. Einige Kollegen, Erzieher, hatten gerade die Wochenzeitschrift mit dem Titel Das soziale Band gegründet . Die damalige Idee war, mit der Nullnummer eine Plattform für Ankündigungen für Sozialarbeiter zu erstellen. Ab der ersten Nummer der Zeitschrift stieß ich dazu, denn ich wollte damit hervorheben, dass dies eine wertvolle Ausdrucksmöglichkeit darstellte, und ich schlug vor, die Zeitschrift mit entsprechenden Artikeln anzureichern. Daraufhin bildete sich eine Redaktionsgruppe.

Einige Zeit danach traf ich mich mit François Tosquelles, dem ich damals ab und zu begegnete. Für diejenigen, denen Tosquelles unbekannt ist: Er ist der Vater der Institutionellen Psychotherapie, in der sich nach den psychiatrischen Experimenten während des Spanienkrieges und bereichert durch die Beiträge Jacques Lacans, eine wahre Revolution im Umgang mit Geisteskranken vollzog.

Die Auffassung, man müsse zuallererst die Pflegenden und die Institution heilen, gelangte zum Durchbruch und wird bei der Arbeit in der Klinik von Laborde unter der Leitung von Jean Oury und von anderen fortgesetzt.

Tosquelles, unter Freunden Tosq’ genannt, empfing mich herzlich wie immer. Ich war ziemlich stolz ihm die Zeitschrift zu zeigen und bat ihn um ein Interview.

»Wie heißt diese Zeitschrift?«

 »Das soziale Band«.

Er zögerte kurz, murmelte dann mit seinem Akzent à la Dali und sanfter Stimme:

»Mit dem sozialen Band kann man sich vereinigen, verbinden, Gruppen bilden, man kann sich aber auch damit strangulieren.«

So war er ›Tosq‹. Spöttisch und witzig, jedoch nie ohne das Spiel mit dem Signifikanten zu spielen. Das soziale Band –  es kann in zwei Richtungen gehen!

II.

Denn gerade darin besteht das Problem des sozialen Bandes: Es wird auf zwei

Arten gebraucht und ist paradox. Es kann das Zusammenleben ermöglichen, ein Kollektiv von Menschen zusammenhalten, es kann jedoch auch dessen Mitglieder zu Gefangenen machen. Deshalb muss man das soziale Band sehen als etwas, das mitten in der Aporie angesiedelt ist, als eine Spannungslinie, deren Enden nicht abtrennbar sind. Auf der einen Seite erhält das Subjekt, nämlich das was im Menschen spricht, seine Struktur von der Sprache. Was kann man nun tun, damit die Subjekte nicht im Verlauf des Diskurses verschwinden? Auf der anderen Seite sind die Sprache, das heißt das Soziale, das Kollektiv nur so lange lebendig, als jedes Subjekt durch seine einzigartigen Einfälle seinen Beitrag zum gemeinsamen  Schatz liefert. Was kann man nun tun, um zu verhindern, dass das Kollektiv nicht unter der Last der individuellen Ausdrucksweisen explodiert? 

III.

Eine Theorie des sozialen Bandes muss unbedingt diese Hervorbringung  der

Sprache berücksichtigen, die man Subjekt nennt und die von ihr die Struktur erhält, nämlich den Lebensraum/Gehäuse und den Sprachraum. Das Subjekt bewohnt eine der drei Strukturen, welche von Freud definiert wurden: Neurose, Perversion oder Psychose. Die Art und Weise seiner Behausung und sein Habitus, so könnte man sagen, entspricht dem Symptom.

IV

Aber eine Theorie des sozialen Bandes darf die Matrix der Struktur, nämlich die

Sprache selbst, nicht beiseite lassen. Sie macht aus dem sozialen Band einen Diskurs

V.

»Ein Diskurs, das ist die Art von sozialem Band, das ist, was wir überein-

stimmend, wenn Sie zustimmen, das sprechende Wesen nennen, was sicher ein Pleonasmus ist. Wie um zu sagen, weil es sprechend ist, ist es Sein, weil es Sein nur in der Sprache gibt. Das Sprechende, das Sie, wie ich annehme, alle sind, glaubt in vielen Situation zu sein, jedenfalls in dieser; es genügt daran zu glauben, um irgendwie das sprechende Wesen zu sein. Es wird allgemein als Tier klassifiziert und ist, zu Recht dieses als Tier klassifiziere sprechende Wesen, es ist gut spürbar, dass es soziale Bindungen hat; anders gesagt, es ist nicht seine gewöhnliche Lebensart, in Einsamkeit zu leben.«  Jacques Lacan, Conférence à l’Université catholique de Louvain, am 13. Oktober 1972 (unveröffentlicht) 

VI.

Die Entstehung des Menschenkindes, sein Eintreten in den kollektiven Diskurs

als Subjekt verlangt eine besondere Ausstattung der Menschen. Die menschliche Sprache ermöglicht diese bei den Tieren einzigartige Eigenschaft, die Abwesenheit repräsentieren zu können. Abwesenheit von Dingen, Abwesenheit der Seienden. Die Sprache, eingefügt in ein Sprachsystem, beim Sprechen von jedem Subjekt aktualisiert und angewendet, zeigt sich wie in dem Mathem, das Lacan am Ende des Seminars L’identification   erarbeitet hat: »Ein Signifikant repräsentiert ein Subjekt für einen anderen Signifikanten.«1

Nämlich das Mathem        S 1  ----->  S 2

                   _____

                    S/

Es bildet den Ansatz des Meisterdiskurses, den Lacan erst Jahre später in L’envers de la Psychanalyse 1969 formulieren wird. 2

Diese spezifische Besonderheit ist nicht vom Himmel gefallen. Sie entsteht durch einen Prozess: die Kastration, welche die ›trumains‹, die menschlichen Wesen einschreibt unter dem Zeichen des Schnittes und der Doppeldeutigkeit, also des Missverständnisses. Wenn es auch so ist, dass die Sprache ein soziales Band darstellt, so trennt sie uns auch. Wir Menschen verstehen einander nicht. Deswegen zeichnet sich der Eintritt des Menschenkindes in die Sprache zunächst als Trauma ab. »Alle die ihr seid, was seid ihr anderes als Missverständnisse? Otto Rank ist dem nahe gekommen, als er vom Träume der Geburt sprach. Es gibt kein anderes Trauma: Der Mensch kommt als Missverständnis auf die Welt.. Es gibt kein anderes Geburtstrauma als jenes, als Gewünschtes auf die Welt zu kommen. Begehrt oder nicht begehrt – das kommt auf dasselbe hinaus, denn es geschieht durch das ›parlêtre‹, das sprechende Wesen.«3

Es ist die Sprache des Anderen, und vor allem des Anderen, der in Gestalt der Mutter auftritt, die in den Körper des Menschkindes einbricht. Diese Ursprache, die schwer belastet ist von Affekten dieses ersten sozialen Bandes, besitzt zunächst die Konsistenz eines Klangmateriales. Wir treten in die Sprache nicht durch den Sinn, sondern durch das Reale des Klanges ein. Dieses Klangmaterial, das Lacan anlässlich eines Stotterns ›lalangue‹ nennt, tritt auf als symbolische Vermittlung beim Kommen und Gehen des mütterlichen Anderen. Diese ersten Töne, die vom Kind seinem eigenen Körper dort entnommen werden, wo sie sich abgelagert haben, erzeugen die symbolischen Anfänge, um die Abwesenheit der Mutter zu re-präsentieren (gegenwärtig zu machen). Der Verlust des Genießens der Mutter (in den beiden Bedeutungen des Begriffes, denn die Trennung wird von beiden Seiten erlebt), führt das Kleine in die Gesetze der Sprache ein. Was sich auf den ersten Blick als ein radikales Nein in Bezug auf das »Genießen des Lebens«4 darstellt,  weswegen die Psychoanalytiker den Begriff der Kastration verwenden, das ist der Preis der Menschwerdung. Dieses Nein, indem es das Kind unter das Zeichen von Verlust und Bindung stellt, bildet den Sockel eines Ja. Das Unmögliche lässt das Mögliche zu. Ein Teil der Mutter bricht auf diese Weise weg wie Das Ding , das Nicht-Repräsentierbare; und der andere wird erhalten als Nebenmensch und tritt in den Bereich der Signifikanten ein -  um die von Freud aufgezeigte Einteilung im Entwurf 5 wieder aufzunehmen.

Man kommt also nicht darum herum: Die Menschwerdung, das heißt der Eintritt in das soziale Band geschieht, indem dem Menschenkind ein Verlust an Genießen aufgezwungen wird. Lacan verwendet für ihn zwei Begriffe: Extraktion oder Subtraktion von Genießen, und umreißt das Objekt  @, diese Erfindung, von der er sagte, es sei sein einziger wichtiger Beitrag zur Psychoanalyse. 6

Wenn die Mutter sich zum Beispiel um ihre Angelegenheiten kümmert, ist das Kind darauf angewiesen, ihre Abwesenheit durch verschiedene lautliche Regungen zu repräsentieren: es brabbelt, es lallt. Francoise Dolto hat dafür eine gute Wendung gefunden: Das Kind mammelt (mammaise). Das Rätsel der mütterlichen Abwesenheit gestaltet sich dabei als symbolische Maßnahme, die Lacan im Seminar III als Namen-des-Vaters bezeichnet.7 Wesentlich später wird er zeigen, dass es sich hier nur um eine Eintrittsart in das soziale Band handelt. Der Namen-des-Vaters ist nicht als Familienname zu verstehen, sondern als die Fähigkeit, die Abwesenheit der Mutter zu benennen, und umso mehr jede Abwesenheit.  Das Klangmaterial, das mit dieser symbolischen Konstruktion verschmilzt, öffnet den ersten Zugang des Menschenkindes zu dem, was Freud den Sprachapparat nennt.8 Die Anpassung des Subjektes an die Sprache, seine Unterwerfung unter die Norm, leitet seinen Halt im sozialen Band ein.

Hier eine Tabelle, in der ich das Wesentliche dieses Zuganges zusammenfasse:

Art des sozialen Bandes

Umgang mit d. Genießen

Sprachbedingungen

menschlich

Nein zum Genießen

Sprache

sozial

Gesetz(e)

Sprachsystem

Familie

Inzestverbot

Lalangue /Lallen

Subjektiv (S/)

Kastration

Sprechen

Die verschiedenen Bindungen des sozialen Bandes, die menschliche, soziale und familiäre und subjektive Bindung, werden bestimmt durch ein radikales Nein zu dem, was Lacan als »Genießen des Lebens« bezeichnet. 9,10 Diese erste Verstümmelung, dieser erste ›Troumatismus‹ (trou=Loch) am Körper des Kindes setzt die Bedingungen für die ganze Kette und bildet das Gerüst für das soziale Band. Die Gesetze, die sozialen Regeln, das Inzestverbot, die Kastration sind Abwandlungen dieser ersten Ausrichtung.

VII.

Ausgehend von diesen Prämissen kann man tiefer in die Erkundung des sozialen Bandes gehen. Freud bringt in „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ eine erste Matrix seiner Bildung.11  Von vornherein präzisiert er: »Der Gegensatz zwischen der Individualpsychologie und der Ich-Analyse, der auf den ersten Blick sehr tiefgehend erscheint, verliert viel von seiner Schärfe, wenn man ihn genauer prüft.« So ist es im sozialen Leben, wo die Anwesenheit des anderen immer entweder in Begriffen der Liebe oder des Hasses wiedergegeben wird. Was eine Gruppe verschweißt, ist die Projektion einer Idee über einen Chef oder eine Organisationsregel: Diejenigen, die dieselbe Referenz teilen, fühlen sich als Brüder und lieben einander; Das geschieht aber um den Preis, dass das Objekt des Hasses verdrängt wird – womöglich an die Grenzen des Landen (oder der Psyche).12 Diese Prämissen ermöglichen es Freud, im Jahre 1925 drei unmögliche Unterfangen herauszustellen: regieren, erziehen, heilen.13 Sie sind unmöglich, weil man in diesen Berufen in das soziale Band das einbringen muss, was ihm Widerstand leistet. Das Unmögliche zusammenfügen, nicht es verdrängen. Damit wird das Unmögliche in den Rang eines Grundkonzeptes der Freudianischen Theorie erhoben. In der Tat bringt es der Vater der Psychoanalyse 1937 auf den Punkt, wenn er diese Berufe, die es mit den menschlichen Beziehungen und vor allem mit der Erlernung des sozialen Bandes zu tun haben, in die Kategorie des Unmöglichen einordnet, da bei diesen sozialen Praktiken »man auf Anhieb eines ungenügenden Erfolges sicher sein kann«.14 Hierin liegt die Wurzel dessen, was Freud mit dem Ausdruck »Unbehagen in der Kultur« bezeichnet. Nämlich, dass die Geschichten der Menschen weder in den Bereich der Perfektion noch der absoluten Meisterschaft gehören. Es bleibt ein Rest. Das Sprechen in all seinen Bedeutungen, in dem die Gesetze der Sprache angewendet werden15, bleibt nur ein Versuch, diesen Rest in der Beziehung zu anderen aufrecht zu erhalten. Es passt sich an die Widrigkeiten dieses Verfehlens an, das für das Leben der Menschen bestimmend ist. Das Sprechen ist hier wohlgemerkt zu verstehen als über den verbalen Ausdruck hinausgehend, denn, wie Martin Heidegger zu Recht unterstreicht: »Das menschliche Wesen spricht. Wir sprechen im Wachzustand; wir sprechen im Traum. Wir sprechen ohne Unterlass, selbst wenn wir kein Wort hervorbringen […]« 16

VIII. 

Lacan greift das Problem des sozialen Bandes auf und folgt der Vorgangsweise Freuds, indem er den Umgang mit sozialem Anderssein erörterte, Behandlungs-Methoden, die genau diese Dimension des Unmöglichen einschließen, als Verfehlen, als Scheitern, um es mit Samuel Becket auszudrücken, der in Cap au pire auch noch sagt, es gehe schlussendlich darum, »besser zu scheitern«.17  Aus dieser Frage der Behandlung des Unmöglichen, das mit dem Objekt @ verschmilzt, schließt Lacan 1969 in seinem Seminar Die Kehrseite der Psychoanalyse auf die vier Diskurse. Es ist notwendig, gleich zu Anfang zu verstehen, dass das Einzigartige des Subjekts, welches im Sprechen oder im Symptome ausgedrückt wird, das Produkt der Konfrontation mit dem allgemeinen Diskurs (S 2) ist. Wenn das S gebarrt  (kastriert, nicht-alle) ist, dann wegen der Wirkung der Sprache, die es in zwei Teile spaltet, einerseits einen Signifikanten (S 1) und andererseits den schattenhaften Teil, das Rätsel eines sprechenden Subjektes (S/). Aber es ist durch den Eingriff des Sprechens, auch von den anderen getrennt. Ein Trennung also in sich selbst und zwischen den Subjekten. Die ganze Problematik liegt also in der Tatsache begründet, dass sich das Subjekt nicht in den Massendiskursen auflöst: im Neusprech 18, in Phrasendrescherei, Einheitsgedanken, herrschenden Ideologien. Aber es muss auch aufgepasst werden, dass die subjektiven

Ausdrucksweisen das Kollektiv nicht durch massive Entlastungen des Hasses, des Ausschlusses, der Absonderung entstellen. Lacan erstellt eine These des sozialen Bandes, um diesen ständigen Gefahren entgegen zu wirken: Der Auflösung des Subjekts oder dem Auseinanderbrechen des Kollektivs. 

IX.

Das Subjekt erscheint immer nur als repräsentiertes. Es fehlt ihm an Sein, was

Lacan notiert als @. 19 Dieses Objekt weist auf den Mangel hin, der das Begehren in Gang setzt: das »Objekt Ursache des Begehrens«, wie Lacan anfänglich sagt, dann in der Folge des Marxschen Mehrwertes, das »Objekt Mehr-Genießen«. Im Diskurs geht es darum, daraus eine Behandlungsmethode zu machen. Mit anderen Worten beruht für Lacan die einzige Behandlung des Genießens im Diskurs, der die menschlichen Kollektive zusammenhält. Davon ausgehend entwickelt er vier Behandlungen: zunächst der Meisterdiskurs, dessen erstes Stadium der Erarbeitung wird schon angesprochen haben. Dann tauchen  in einer Rotation die andern drei Diskurse auf: jener der Hysterikerin, der universitäre Diskurs, der Diskurs des Analytikers. Aber zuerst erstellt Lacan ein Viererschema mit vier unverrückbaren Plätzen:

                  Agent         der andere

                  _____         _________

                  Wahrheit       Produkt

Der Platz des Agenten gibt jedem Diskurs seinen Namen je nach dem Element, das ihn besetzt: Diskurs des Meisters, wenn dort S 1 angesiedelt ist; Diskurs der Hysterikerin, wen es S/ ist; universitärer Diskurs für S 2; analytischer Diskurs mit dem Objekt@ am Platz des Agenten. Von diesem Platz aus wird gesprochen. Im Wissen, dass die Wahrheit unter dem Strich im Schatten dessen bleibt, was das Sprechen verursacht, was es hervorruft. Der andere ist der, an den ich mich wende, und was dabei herauskommt bildet das Ergebnis der diskursiven Operation.

Auf den vier fixen Plätzen lässt Lacan vier Term sich bewegen: S/ (Subjekt des Unbewussten), S1 (Meistersignifikant), S 2 (das Wissen), @ (das Objekt-Ursache- des-Begehrens, welches er später enger eingrenzt als Objekt-Mehr-Genießen). Diese Vier drehen sich im Viererschema gemäß einer invariablen Ordnung.

Nun kann aber nicht alles an Genießen vom Signifikanten aufgenommen werden. Denn in Gegensatz zu dem, was Françoise Dolto im Titel eines ihrer Werke ausdrückt: Es ist nicht alles Sprache. Unter der Kategorie des Realen existiert etwas, das nicht aufhört, der Benennung zu entgehen. Das Ding bei Freud.

Daher das Zusammenspiel von Pfeilen, welche Lacan in die vier Diskurse einführt, um das Unmögliche und das Unvermögen einzudämmen.

Zum Beispiel verweist im Meisterdiskurs der Pfeil (----->  ) auf eine strukturelle Unmöglichkeit, dass der Signifikant das Gesamte des Wissens umfasst; außerdem entspricht das Produkt nie der Wahrheit (//):

            S 1 ------------>  S 2

            ___          ___

            S/      //      @

Im Diskurs des Analytikers ist der Grund für dieses Misslingen mit der Irreduzibilität des Realen auf die sprachliche Ordnung verbunden: Das sprechende Wesen kann so viel sprechen wie es will, es wird nie sein Sein erreichen, das per definitionem fehlt. S/ ist getrennt von @. 20 Die vier Diskurse als Matrix des sozialen Bandes stellen sich dar als Handhabung des Genießens, seines unaufhörlichen Exzesses, verschmolzen im Objekt @.

Es gäbe sicherlich viel zu sagen über die Theorie der vier Diskurse, wie sie von Lacan entwickelt wurde. Halten wir fest, dass die Einschreibung in die Sprache es dem Subjekt ermöglicht die Frage seiner Einzigartigkeit und in der Folge seiner Einsamkeit aufzuwerfen, indem es permanent Soziales herstellt. Das Subjekt erhält sich nur durch die Existenz eines diskursiven Apparates, dem er ohne Unterlass seinen Anteil bezahlt. So sagte mir eine Patientin, dass wir Gott fabrizieren, damit er uns dann fabriziert! Dieser Kreislauf des Sozialen und des Subjektiven kann durch das Möbiusband veranschaulicht werden, bei dem sich Rück- und  Vorderseite zwar unterscheiden, jedoch in einem einseitigen Kontinuum. Diese These mündet bei Lacan, insbesondere am Ende seiner Lehre, in offensichtlich widersprüchliche Formulierungen, wie: »Das Unbewusste ist das Soziale« oder »Das Unbewusste ist das Politische« oder auch: »Das Kollektiv ist nichts anderes als das Subjekt des Individuellen.« 21

Aus dieser Aussage zieht Jacques-Alain Miller im Jahr 2000 einige Konsequenzen:

        Phänomene, welche sich in der Kur entfalten.

X. Die vier Diskurse, plus einer;

XI.

Wie man sieht, führt Lacan einen fünften Diskurs ein, den Diskurs des Kapitalisten, der aus der Umstellung des ersten Gliedes des Meisterdiskurses hervorgeht.

                     S/    statt     S 1

                     ___          ___

                     S 1          S/ 

»[…] eine einfache, geringe Umstellung zwischen dem S 1 und dem gestrichenen S, dem Subjekt […] das genügt, damit das wie geschmiert läuft, es könnte nicht besser laufen, aber es läuft  eben zu schnell, es konsumiert in einem Ausmaß, dass es sich aufzehrt.«23

Diese Umstellung bleibt natürlich nicht ohne Folgen für den Charakter des sozialen Bandes, sowohl für die Art und Weise, wie das Subjekt sich in ihm artikuliert, als auch für die Art und Weise, wie die Subjekte in den Kollektiven, den Gruppen, den Nationen zusammenhalten…

Die Aufstellung des gestrichenen S auf dem Platz des Agenten zieht das Subjekt auf die Seite der Hysterisierung, aber in einer Form, bei der das Kennzeichen des Mangels, welches durch das mit dem Unmöglichen besetzte Objekt @ ausgedrückt wird, letztlich verblasst. Pierre Bruno definiert den kapitalistischen Diskurs als »einen Diskurs ohne Verluste«, der das konsumierende Subjekt seinen Befehlen unterwirft.24  Schlussendlich wäre das ein Subjekt, bei dem sich die Barre der Kastration verflüchtigt. Die modernen, von manchen Autoren auch postmodern genannten Gesellschaften, verleiten dazu, alles auf der Erde in Waren zu verwandeln. Diese verbreitete Vermarktungswelle bezieht alles am Menschen ein, seinen Körper, seine sozialen Kontakte, seine Objekte, die, anstatt mit Unvollständigkeit geschlagen zu sein, den Gipfel der Modernität erklimmen, indem sie zu Versprechungen einer Welt der Fülle ohne Risse werden. Einer Welt, aus der das strukturell Unvollständige, diese Fabrikmarke des Menschen, für immer vertrieben wäre. Lacan sagt es deutlich: »das läuft wie geschmiert«, aber das Drama liegt darin, dass es zu gut läuft; dass es dahinschnurrt, bis es umkippt, bis es sauer wie Essig wird. Dieses enge Aufeinanderkleben von Subjekten und industriellen Objekten inzestuöser Machart verwandelt  das Subjekt in der Tat in einen Verbraucher, der so gut konsumiert, »dass er sich aufzehrt«. Und nun ist der Mensch gleichfalls auf ein Objekt reduziert, was bereits Karl Marx in dem Begriff der »Versachlichung« angedeutet hat. Auf der einen Seite zerbricht das soziale Band in Individuen, wie es die Etymologie dieses Wortes zeigt, in vom Sprechen nicht Getrennte, eine Art von »alles dem Ego«; und auf der anderen Seite in kleine Gemeinschaften, die sich nur mit sich selbst befassen und sich in den Winkeln eines Gemeinschaftsgeistes zusammendrängen, was es jedem Mitglied erspart, die Spaltung des Subjektes am Hals zu haben, indem es sie nach außen verdrängt. Hier zeichnen sich Individualismus und Gemeinschaftlichkeit als die beiden Grundlagen des Kapitalismus.

XII.

Darin liegt das Unbehagen im Kapitalismus begründet. 25 26  Diese Aussage bezieht sich mit einem Augenzwinkern auf den großen Text von Freud Das Unbehagen in der Kultur , der 1929 erschienen, aber zeitlos ist. Genauso kann man sagen, dass er in diesen Krisenzeiten von frappierender Aktualität ist. Der von Freud vorgeschlagene Titel lautete denn auch Das Unglück in der Kultur , er wurde aber sogleich von seinem Verleger aus Verkaufsgründen entschärft und durch »Unbehagen« ersetzt. Das Unglück verkauft sich schlecht! Das Wort ›Unbehagen‹ jedoch ist vage. Freud stellt in dieser Schrift eine radikale Frage: Was will der Mensch? Ich wette, dass keiner anders antwortet als mit: glücklich sein. Freud erläutert, dass sich diesem unverwüstlichen Wunsch nach  Glück drei Hindernisse entgegenstellen: Der Körper, die Welt und die anderen, die von jedem Subjekt verlangen, dass es seine Glücksansprüche zurückstellt, um stattdessen, wie er es am Ende einer Sitzung zu einer Patientin sagt, zu lernen, sich mit seinem banalen Unglück zufrieden zu geben. Bisher haben die Kulturen symbolische Prozesse gefunden, um diese bittere Enttäuschung zu vertreten und viel mehr ihre Struktur von einer Generation zur nächsten weiterzugeben. Die Gesamtheit dieser Prozesse lassen sich unter der Führung des sozialen Bandes zusammenfassen. Die Erziehung, als erste Modalität des sozialen Bandes, »Opferung des Triebes«, wie Freud 1917 in seinem ersten Vortrag sagt, lehrt das Menschenkind schon früh, dass es seine Ansprüche auf das Genießen zurückstecken muss.27 Es ist unerlässlich, vom Genießen abzulassen, um seinen Platz bei den Anderen zu finden.

Unsere neoliberale Gesellschaft, Speerspitze des Kapitalismus, versucht jedoch diese Natur der menschlichen Umstände völlig zu verändern. Wie kann sich das Zusammenleben in einer Gesellschaft gestalten, die verstrahlt ist vom Grenzenlosen, zutiefst ichbezogen, mit Körper und Seele dem endlosen Konsum von Produkten der Technologie verschrieben, diese »Lathusen«, die Lacan als Paradigma erfindet. »Die Welt wird mehr und mehr von Lathusen bevölkert.« Es sind dies „die feinen kleinen Objekte @, denen Sie beim Rausgehen begegnen werden, auf dem Pflaster dort an jeder Straßenecke, hinter allen Schaufenstern, im Gewimmel dieser Objekte, die dazu gemacht sind, Ihr Begehren zu verursachen, insofern es jetzt die Wissenschaft ist, die uns beherrscht.» In Lathusen liegt Lethe verborgen, das Vergessen. Wenn es aber von der Wahrheit betroffen wird (a-letheia), wenn das Vergessen aufgehoben wird, wenn das Verborgene zum Vorschein kommt, dann taucht die Angst auf. Aus diesem Grund geraten wir immer in eine Panik, die uns vor dem Konsumobjekt mit einer unstillbaren Gier packt, doch sobald wir es erbeutet haben, wird es monströs.28 Da kehrt das vertuschte Reale zurück. Lacan bringt schon seit 1972 vor, dass der Kapitalismus die Kastration ausschließt.  (Le savoir du psychanalyste)

Um alle Folgen dieses Umsturzes des sozialen Bandes zu ermessen, ist es angebracht, aufs Neue den Gedankengang Freuds aufzugreifen, dabei gerade deshalb mit Marx übereinstimmend, um daraus Perspektiven abzuleiten: »Es scheint nicht, dass man den Menschen durch irgendwelche Beeinflussung dazu bringen kann, seine Natur in die eines Termiten umzuwandeln, er wird wohl immer seinen Anspruch auf individuelle Freiheit gegen den Willen der Masse verteidigen. Ein gut Teil des Ringens der Menschheit staut sich um die eine Aufgabe, einen zweckmäßigen, d. h. beglückenden Ausgleich zwischen diesen individuellen und den kulturellen Massenansprüchen zu finden, es ist eines ihrer Schicksalsprobleme, ob dieser Ausgleich durch eine bestimmte Gestaltung der Kultur erreichbar oder ob der Konflikt unversöhnlich ist.« 29

Am Ende dieser Überlegung könnte man betrachten, wie es heute um die Widerstandsmöglichkeiten des Subjekts bestellt ist, was die Subjekte in Gang setzen, um nicht reduziert zu werden auf Konsumgüter. Das schließt ein, dass man die Bahnen frei macht zu einer wahrhaften Politik des Symptoms hin.30 »Die Funktion des Symptoms manifestiert sich in einem ›ich möchte nicht durch den Anderen genossen werden‹«.31 Die Gesellschaft, die vor unseren Augen wuchert, mit all ihren Einflüssen auf die Sprache, die Ausdrücke des Marktes, des Konsums, der Technologie und der Wissensideologie aufweist, verlangt von Seiten der Subjekte und der Kollektive, einen veritablen Ruck zu vollführen, damit es nicht mit Leib und Seele untergeht in einer Unterwelt, ja in einer Müllwelt, deren erste Verwüstungen uns bereits ins Gesicht springen.

Die sogenannte menschliche Rasse, die Rasse, deren Grundlage in der Anpassung an die Gesetze der Sprache liegt, droht auszusterben. Das soziale Band ist, wie auch immer, ziemlich fragil und kann keinesfalls ersetzt werden durch das Band, welches der göttliche Markt 32, der neue Moloch, der neue schreckliche Gott herstellt. Tosquelles hatte wirklich Recht mir warnend zuzurufen, dass diese Art von sozialem Band erstickend sein kann. Werden wir es in den kommenden Jahren schaffen, ausreichend solide Widerstandsmuster aufzustellen? Das ist die Frage, die sich am Beginn eines entscheidenden Jahrhunderts in der Menschheitsgeschichte stellt.

Den kapitalistischen Diskurs zu verlassen, bedeutet also zum sozialen Band zurückzukommen, das durch die vier Diskurse geknüpft ist, und irgendwie das Menschliche als Maß aller Dinge, gemäß dem Satz des Sophisten Protagoras, wieder als essentiellen Mangel einzuführen. Diese Rückkehr kann auf eine Reaktivierung der Fortschritte der Aufklärung im 18. Jahrhundert nicht verzichten. Es ginge darum, die Macht der Transzendenz erneut herbeizurufen, um Pyramiden zu errichten, die einen frei atmen lassen. Womöglich kommt noch ein Schritt hinzu, bis zu dem Punkt, den der Dichter Friedrich Hölderlin erreicht, wenn er sagt: »bis Gottes Fehl hilft«.

XIII.

Cormac McCarthy erzählt in seinem düsteren Roman Die Straße , der die Zerstörung der Welt durch die Menschen zeigt, eine Szene, in der ein Vater und ein Sohn auf der Straße landen, um zu überleben. Obwohl keinerlei Lebensgrundlagen mehr vorhanden sind, trotz des Fehlens jeglicher natürlicher Ressourcen und des Zusammenbruches von Sozialmoral und Ethik, versucht der Vater  verzweifelt, seinem Sohn das Wesen der Menschwerdung zu vermitteln (den menschlichen Weg), damit es nicht verloren geht. Und er ruft aus: »Gott existiert nicht und wir sind seine Propheten!« Dieser fürchterliche Satz fügt die ganze Vorstellungskraft im Sprechen und in der Sprache zusammen: Herstellung eines Realen, das gleichzeitig vom Symbolischen übernommen wird. Allein der Rekurs auf das ›Als ob‹ 33 wird uns retten. Ein soziales Band, das seinen Anhaltspunkt in einer absoluten Bedeutungslosigkeit findet, das ist es, was auf dem Spiel steht.

Aus dem Französischen übersetzt von Monika Mager

1 Jacques Lacan, Seminar IX, L’identification, 1961-1962 unveröffentlicht

2 Jacques Lacan, Seminar XVII, L’envers de la psychanalyse, Éditions du Seuil, Paris 1991.

3 Jacques Lacan, Le malentendu , 10. Juni 1980, unveröffentlicht

4 Jacques Lacan, »La troisième«, in : Lettres de l’Ecole freudienne, Nr. 16, 1975.

5 Sigmund Freud, »Entwurf einer Psychologie«, in: Aus den Anfängen der Psychoanalyse 1887-1902 , S.Fischer, Frankfurt 1962

6 Jacques Lacan, »Das Feld der Realität erhält sich nur durch die Extraktion des Objekts a, das ihm dennoch den Rahmen verleiht«. Ecrits , Éditions du Seuil, Paris 1966, Seite 554.

7 Jacques Lacan, Seminar III, Die Psychosen, . Quadriga Verlag, Weinheim/Berlin 1997

8 Sigmund Freud, Beitrag zur Auffassung der Aphasien.

9,10 Jacques Lacan, »La troisième«, in : Lettres de l’École freudienne, Nr. 16, 1975.

Siehe auch Jacques-Alain Miller,  »Les six paradigmes de la jouissance», in : La cause freudienne,

Nr. 46, 1999.

11 Sigmund Freud, »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, in GW Bd.

12 Sigmund Freud, ebd.

13 Sigmund Freud, Vorwort zu August Aichhorn, Verwahrloste Jugend.

14 Sigmund Freud, Die endliche und die unendliche Analyse, 1925 .

15 Jacqueline Légault, Les lois de la parole, érès, 2003.

16 Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache.

17 Samuel Beckett, Aufs Schlimmste zu, 1988

18 Zum Neusprech siehe Georges Orwell, 1984.

19 Den Hinweisen von Jeanne Lafont folgend, verwende ich den Klammeraffen, insofern als Lacan meint, dass sein Status als Zeichen naheliegender ist denn als Buchstabe. Siehe Jeanne Granon-Lafont, Topologie lacanienne et clinique analytique. Point hors ligne, 1990.

20 Vergleiche dazu Michel Lapeyre et Marie-Jean Sauret : Lacan, le retour à Freud. Mailand, 2000.

21 Jacques Lacan, Le temps logique et l’assertion de certitude anticipée, in : Ecrits. Fußnote S. 123 

22 Jacques-Alain Miller, Theorie de Turin, Vortrag am 1. Wissenschaftlichen Kongress der Scuola lacaniana di Psicoanalisi, am 21. Mai 2000.

23 Jacques Lacan, Du discours psychanalytique, Vortrag an der Universität Mailand, 1972.

24 Pierre Bruno : Lacan, passeur de Marx. L’invention du symptôme, érès, 2010

25 26 Thema des Seminars von Joseph Rouzel (2010-2011) in Montpellier in der Association Psychanalyse sans frontière. Vgl. auch Marie-Jean Sauret, Malaise dans le capitalisme, PUM, 2009.

27 Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoalalyse, 1895.

28 Jacques Lacan, Seminar XVII, Die Kehrseite der Psychoanalyse, Sitzung XIII, vom 20. 5. 1970.

29 Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, S. 455 f.

30 Jean-Marie Sauret, L’effet révolutionnaire du symptôme, érès, 2008.

31 Pierre Bruno, a.a.O.

32 Dany-Robert Dufour, Le Divin marché, Denoël, 2009.

Texte paru dans la revue autrichienne "RISS" en janvier 2011. 

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et pour la traduction , on fait comment ?

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